• Willkommen im Forum „DragonCastle Freeshard Forum“.
 

Neuigkeiten:

Server Rev 257 (27.09.2009)
Data Version 1.7.2.3
Client Version 2.1.0.35

Hauptmenü

Brandmal

Begonnen von Doktor Mabuse, 16. Januar 2009, 01:07:11

« vorheriges - nächstes »

Doktor Mabuse

Langsam verschwammen die Lettern. Immer weiter näherte sich Merdilles Kopf dem Buch, bis sie die Schrift nicht mehr lesen konnte. Das Reich der Träume hatte sie geholt. Wie lange war sie wach gewesen? Zwei Tage? Drei Tage? War es wichtig? Nein. Gleichmäßiger, jugendlicher Atem pustete über die uralten Zeilen des Folianten. Ein Teil eines Dialogs ging ihr noch durch den Kopf: „Was noch?“, sprach eine (noch) unbekannte Stimme. „Mein Leb…“ der scherzende Unterton in Merdilles Stimme verschwand, als sie die Tragweite  ihrer Worte erfasst hatte. „Leben“ wiederholte sie zittrig.
Rauchige Schwaden benebelten die Sicht. Sie wusste, dass sie nicht im Raum, in dem sie sich jetzt gerade befunden hatte war. Sie rieb die Handballen in den Augenhöhlen. Das heißt...  Merdille wollte es, doch dann merkte sie, dass sie nicht einmal einen Finger rühren konnte. Nichts schien sie aufzuhalten. Nichts, außer die Tatsache, dass ihre Arme Tonnen wogen. Wie ihr gesamter restlicher Leib. Die trüben Sinne wurden ihr langsam klarer. Sie lag auf dem Bauch. Den Biss der Kälte auf ihrer Haut nach zu urteilen hatte sie nichts an. Schwer zu sagen, wenn sich der Kopf kaum noch bewegen lässt und die Augen wie festgefroren sind. Tack, Tack, Tack. Schritte. Mehrere Personen. Sie stimmten ein Singsang an und verteilten sich um sie herum. Kurz hielten die Priester inne. Die Stille zog sich hin. Merdille kam es vor, als ob Stunden vergingen. Natürliich verstrichen nur einige Sekunden.. Schließlich kamen sie näher, begleitet von einem Geräusch, welches herabprasselndem Sand ähnelte. Sie erreichten Merdille. Sie wollte zusammenzucken, als das Zeug ihren Rücken berührte. Hunderte von Schaudern fuhren ihr über den Rücken. Plötzlich fühlte sie einen eisigen Schmerz am rechten Schulterblatt. So eisig, dass es nur enorme Hitze sein konnte. Merdille zappelte und schlug um sich. Allerdings nur in Gedanken. Ihr Körper blieb regungslos. Sie war wie durch dutzende Schnallen an den Boden gebunden, während ihr ein rundes Symbol in die Schulter gebrannt wurde. Allein ihre Augen füllten sich mit Tränen. Die roten Schwaden mischten sich mit schwarzen Explosionen des Schmerzes. Verschmolzen miteinander bis nur noch eine Trübe, dunkle Masse übrig blieb. Die Bewustlosigkeit.

Stark zusammenfahrend wachte sie auf. Ihr Schweiß hinterließ einige dunkle Flecken auf dem Pergament. Der Alb im Traum wirkte irreal. War es tatsächlich so gewesen, oder „schmückte“ ihr Verstand es nur unnötig aus? Genau wusste Merdille nur, dass es... irgendwie so tatsächlich passiert ist: Ein unnötiges Ritual ihrer Heimatinsel. Alle Kinder wurden auf Magiebegabung geprüft. Merdille wusste nicht mehr, auf welchem Wege das geschah. Es war ihr eigentlich auch gleich. Sie wurde geprüft und hatte wohl eine Affinität zur Zauberkunst. Selbst hatte sie davon kaum etwas gemerkt. Ihre Leidenschaft galt sowieso eher dem Tränkebrauen. Es war ihr auch fast gleich. Fakt war aber, dass nur etwa alle dreißig Sommer so etwas wie bei ihr festgestellt wird. Der arkan begabte wird markiert und muss nachdem er zwanzig Lenze erreicht hat die Insel verlassen. Ihr kam es nur recht. Sonst wäre sie womöglich nicht mehr von dem Eiland weggekommen und wäre Fischerin geworden. Dort hätte sie ihren Wissensdurst nicht stillen können.
"Genug geschlafen", murmelte sie bei sich. Ihr trüber Blick sagte allerdings etwas anderes. Sie brauchte noch mehr Schlaf. Ein Lesezeichen legend schloss sie das Buch.
"Morgen war auch noch ein Tag". Mit einem müden Lächeln schlenderte Merdille durch die Tore der Akademie zur Herberge.

Doktor Mabuse

Merdille lehnte sich zurück und kleine Schaumbläschen umhüllten ihren Nacken. Die blutunterlaufenen Augen in dem inzwischen fahlen Gesicht schmerzten vor Müdigkeit, als sie sie schloss. Schlaf war rar geworden. Und ein Bad purer Luxus. Luxus, den sie sich jetzt gönnte - gönnen musste, sonst würde sie ihr Arbeitstempo keinen Tag länger durchhalten können. Eine Hand hebte sich aus der Decke voller Seifenblasen und drehte sich etwas im Kerzenlicht. Verbrennungen, Verätzungen, Schnittwunden. All das waren Zeichen ihrer mangelnden Konzentration bei der Arbeit. Merdille verzog das Gesicht ein wenig, als sich ein Knoten in ihrem Bauch zusammenzog. Mangelnde Konzentration und diese schrecklichen Magenkrämpfe. Sie konnte nichts mehr essen, ohne es ein paar Augenblicke später wieder herauszuwürgen. Nur wegen dem Selbstversuch mit den Pilzen. Gewissermaßen war sie aber dankbar für die Vergiftung durch die Pilze (oder den einen Pilz, den sie vorsichtig probiert hatte). Die Schmerzen hielten sie in Schach. Ließen sich nicht an die Ereignisse der letzten Tage erinnern. Kaum führte sie den Gedanken zu Ende merkte Merdille, dass sich auf ihrem Arm eine Gänsehaut gebildet hatte. Das lag kaum an der Kälte. Schnell zog sie die Hand wieder unter Wasser. Sie wusste genau, dass ihr restlicher Körper auch davon abgedeckt war. Die Geschehnisse hatten sich überschlagen.
Merdille presste ein Bellen aus ihren Lippen. Es hätte ein Lachen werden sollen. Ein, die Situation als lächerlich abstempeldes, Lachen. Doch es war bitter ernst. Ihre sprunghaften Erfolge in der Alchemie.. Vielleicht nur ein Teil des Pakts? Ihre Begabung nichts als eine Farce, um sie gefügsam zu machen? Um sie dem Willen des dunklen Wanderers zu beugen? Nur kleine Leckerchen, wie man sie einem Hund gibt, um ihn zu dressieren?

Hätte sie eine andere Wahl gehabt? Ja. Gewiss. Sie hätte es nicht aus eigener Kraft geschafft. Der Pakt – nicht der dunkle, keiner der zwei finsteren Verträge, die sie mit ihrem Leben unterzeichnet hatte, sondern der, auf welchen sie keinen Einfluss gehabt hatte: der, der bei ihrer Geburt, als sich die Magie windend um sie legte, sie umgab bis sie geprüft wurde – würde sie ihn einhalten können? Sie musste  beginnen die Magie zu lernen. Sonst würde sie Sterben.
Merdille lehnte sich etwas nach vorn. Vorsichtig fuhren ihre Finger über die Vertiefungen des Brandmals an ihrer Schulter entlang. Bevor der Winter begann sollte sie mit dem Stuidum der Magie beginnen. Sonst... Ein bedrücktes Lächeln umspielte ihre Lippen. Sonst musste sie sich keine Sorgen machen. Über überhaupt nichts mehr. Doch das war ein zu einfacher Ausweg. Viel zu einfach. Sie hatte alles, was sie besaß verkauft. Eigentlich war es nur ihr eigenes Leben gewesen, welches an sonsten fast durch ihren Fluch an ihrem Schulterblatt beendet worden wäre. Mehr hatte sie nicht besessen. Und paradoxer weise hatte sie dafür neues Leben bekommen. Ein dunkles, welches so fragil war, dass es jederzeit zerbersten konnte. Mit einem knurrenden Laut eines unscheinbaren Wolfes – des dunklen Wanderers. Merdille zitterte. Allein der Gedanke an ihn ließ sie schaudern. Sie hatte genug über dieses leidige, bittere Thema reflektiert. Dennoch hatte sie keine Klarheit gewonnen. Kurz wollte sie nocheinmal die Ereignisse revue passieren lassen. Sie Tauchte in den Bottich – so lange wie sie die Luft anhalten konnte sollte sie nachdenken. Sie tauchte ab und schloss die Augen. Sofort setzte ihr Verstand Bilder zusammen. Ein letztes Mal stellte Merdille sich die Frage: War ihre Entscheidung richtig gewesen?
Eine Wanderung auf dem Berg der Erkenntnis. Sie war vom Pfad der Tugend  abgerutscht und hielt sich an der Felskante festhielt. Unter ihr, wo eigentlich eine gigantische Schlucht hinunterführen sollte, wo der sichere Tod warten sollte, war fast direkt unter ihrem Absatz Boden. Sie war nicht stark genug sich wieder nach oben zu ziehen. Auf den steinigen Weg der Unschuld. Es war unmöglich sich hochzuziehen, während ein Fingerbreit unter ihrem Absatz der gepflasterte Weg wartete.
Etwas kam dazu. Ein jemand. Ein Wanderer auf dem ebenen Weg. Kein dunkler Wanderer. Ein freundlicher Pilger, der ihr helfen wollte. Allerdings sollte seine Hilfe nicht um sonst sein. Und das Angebot galt nicht ewig. Ein paar Atemzüge nur noch. Dann würde er weiterziehen. Der Boden hinter ihm würde zusammenbrechen. Die riesige Kluft würde sich darunter auftun, welche sie dann hinunterstürzen würde. Ihre Kraft schwand und reichte gerade aus, um sich noch den Moment festzuhalten. Den Moment bis ihre Chance verflogen war.
Ihre Hände ließen den felsigen Abhang los. Der mit Pflastern versetzte Boden federte leicht. Ein angenehmes Gefühl auf ihm zu gehen. Als würde man den Weg zu einem Galgen mit Kissen Polstern. Der Wandersmann machte eine kurze Handbewegung. Sie kannte den Preis für seinen Dienst. Merdille ging auf die Knie und beugte sich vor bis ihre Stirn den Boden vor seinen Füßen berührte. “Mein Leben für euch”. Mehr als ein Flüstern brachte sie nicht über die Lippen. Der Pakt. Der erste Schritt auf dem Weg zum dunklen Wanderer. Der bequeme Weg, der sehr kurz sein würde. Es gab keine Möglichkeit zurück. Die Klippe, an welcher sie gerade gehangen hatte war nun hunderte von Metern hoch. Dennoch war der Abgrund unter ihr. Und sogar noch tiefer als zuvor. Dem dunklen Wanderer durfte sie sich nicht verweigern. Sonst fiel sie. Am Horizont des Weges sah sie einen ähnlichen Berg wie den, den sie zu erklimmen versucht hatte. Nur viel höher – und finsterer.
Merdille tauchte auf und schnappte nach Luft. Über viel mehr konnte und musste sie nicht nachdenken. Besonders wollte sie die Szene mit dem dunklen Wanderer erneut durchspielen. Es war genug zu wissen, dass sie gerade dabei war den düsteren Berg zu besteigen.

Doktor Mabuse

#2
Eisig war es in dem kleinen, fensterlosen Zimmer. Eisig war es auch in ihr, so war es wohl nicht nötig sich aufzuwärmen. Merdille saß, an die Wand gelehnt auf dem Boden, vor ihr war eine kleine, brennende Kerze. Sie saß einem Mädchen gegenüber. Ihr Gesicht leuchtete im warmen Ton der Kerze. Unter ihren geröteten Augen lief eine schmale, schimmernde Spur von Flüssigkeit herab. Im Schein der Flamme sah sie wie ein funkelnder, langgezogener Diamant aus. Das Gesicht erwiderte den Blick jedoch emotionslos. Ungerührt starrten sich beide an. Verachtung – neben den Tränen – glänzte in beider Augen auf.
Merdille hatte ihr Nachthemd an. Unter dem Träger an der rechten Schulter war ein Verband zu sehen. Die weiße Farbe würde beinahe mit der kränklich blassen Haut zu verschmelzen, wenn das Kerzenlicht beide nicht mit einem warmen Farbton füllte, wie eine Farbschicht über einer maroden Wand.
Sie fuhr sich mit dem Handrücken über die Tränenspur. Zuerst die eine, dann die andere Seite. Auf dem Weg nach unten hielt der Arm inne. Erst jetzt merkte Merdille, wie stark die schmale Hand zitterte. Bei dem Anblick wurden ihre Augen wieder zum kleinen Gebirgsbach und fluteten ihre Augen mit der salzigen Flüssigkeit.
Sie sah auf. Ihr Gegenüber blickte sie verstört an, die Hand in einer Imitation Merdilles, zitternd in die Luft gehoben.
Merdille packte ihre Hand. Das Zittern legte sich langsam. Die Andere tat ihr gleich. Einige pfeifende Atemzüge lang betrachtete sie dieses Werkzeug, welches so viel Arbeit geleistet hatte. Die Sehnen ragten wie Gebirge aus dem Handrücken hervor. Über sie schlängelten sich die Adern. Sie warfen einen Schatten. Versuchten etwas zu verbergen, doch es war kaum möglich. Schnitte, Verbrennungen, Verätzungen. Sie setzten sich bis zum Unterarm fort. Arbeit, gefährliche Arbeit war ihr Ursprung. Neugier und Naivität, Ungeduld und Übermut ließen sich darin ablesen. All zu natürliche Attribute für einen kindlichen Geist. Es war nicht das selbe Wesen, wie dieses, welches an die Oberfläche getreten war und das freundliche, hilfsbereite Gegenstück vertrieben hatte. Vielleicht war aber auch die nette Gestalt nur eine Fassade. Eine dünne Schicht, die nun langsam abblätterte.
Die Konturen der Hand wurden plötzlich klarer. Der Zustand der Welt, wie sie davor war erschien ihr auf einmal wie eine Illusion. Lächerlich falsch erschien das, was vor ein paar Augenblicken noch wirklich war. Eine so lachhafte Fassade, die jeder Idiot hätte durchschauen können. Doch schwer lässt sie sich durchbrechen, wenn man von ihr umgeben ist.
Schmerz flammte auf ihrem rechten Schulterblatt aus. Stimmt. So war es gewesen. Deshalb saß sie hier an der Wand gelehnt, in diesen Spiegel starrend auf dem Boden. Das Brennen auf ihrer Schulter hatte sie wach gehalten. Es trieb ihr die Tränen ins Gesicht und sie musste die Lippen zusammenpressen, damit kein Schrei entweichte.
Ihr Spiegelbild sah ihr entgegen. Eine lose Strähne blonden Haares verdeckte das linke Auge und ließ nur den rötlichen Halbmond darunter erblicken, der auch unter dem zweiten Auge war. Die Lippen bildeten eine blasse Linie, welche sich kaum von der Farbe ihres Gesicht auszeichnete. Das Gesamtbild stellte ein Zeugnis der Erschöpfung dar.
Langsam ließ sie die zitternden Hände unter den Verband gleiten. Sie zog ihn ab und drehte sich mit der Schulter zum Spiegel hin. Der Schweiß auf ihrem Rücken glänzte im Kerzenschein, verlieh dem Brandmal eine ungeahnte, neue Tiefe.. und den Schmerzen eine neue Intensität.
Ihre Entscheidung stand fest. Es hatte keinen Zweck mehr ihre Sinne zu vernebeln. Der Schmerz war nun auch in diese Dimension ihres Bewusstseins eingedrungen. Es gab kein Entfliehen mehr vor ihm.  Das Raubtier hatte sie in die Ecke gedrängt Auf Hilfe hatte sie nun viel zu lange gewartet... und das vergeblich. Überall hatte sie ihren Meister nun gesucht. Er war fort. Von ihm war keine Hilfe mehr zu erwarten.
„Alleine“. Toternst blickte sie auf das Spiegelbild, welches synchron zu ihr die Lippen bewegte.
„Schon gut“ Die Worte kosteten unglaubliche Kraft. Aber sie musste sie Sprechen. Ihn ihrem Gedächtnis tobte ein wilder Sturm. Er riss alles um, was sich nicht halten konnte. Die Laute verankerten ihre Gedanken in dieser Welt. Ließen ihr noch einen Funken Fassung, in welchen sie ihre Illusion eines gesunden Geisteszustand einrahmte. Sie vor dem wütenden Orkan schützte.
„Alleine“ Das Wort war kaum noch zu verstehen. Ihre Lippen waren taub, wie ein Fremdkörper. Sie sah inzwischen die Welt nicht mehr. Der Spiegel vor ihr war verschwunden. Der Raum vernebelt. Die Kerze erloschen.Der Schmerz verblasst.
Ihr lascher Körper kippte und schlug auf den Boden auf.
Alles um sie herum war in die ewige Schwärze abgetaucht. Ihre Sinne waren ausgeschaltet. Einzig in unendlicher ferne hörte sie Wolfsgeheul.
Alleine.

Doktor Mabuse

Sanft strich ihr Finger an ihrem freigelegten Oberarm hoch. Das getrocknete Blut legte eine Fährte, welcher die Hand zur Wunde hinauf folgte. Taub war das Gefühl an der Fingerkuppe. Die groben Konturen des tiefen Schnittes konnte sie noch spüren, aber die üblichen Schmerzen blieben ihr verwährt. Das Brennen hatte erst vor einigen ihrer dünnen Atemzüge aufgehört. Gleichzeitig begannen die Gegenstände, welche sie vor sich hatte zu verschwimmen, ineinander überzulaufen, wie in einem Bild eines Künstlers, welches er im Regen vergessen hatte. All dies war der Effekt des Schmerzmittels, welches sie vor Augenblicken nur eingenommen hatte. Es war definitiv ein zu starkes gewesen.
Merdille kniete schwankend auf dem Holzboden ihres Zimmers in der Pension. Vor ihr stand ein kleiner Waschzuber mit Wasser. Ungeschickt schöpfte sie mit der tauben linkenten Hand  das Wasser daraus und versuchte das Gebiet um die Wunde von dem verkrusteten Blut zu befreien. Obwohl ihr Körper taub war schien ihr Gedächtnis wacher denn je. Die Gedanken  sprudelten heraus, wie das Blut aus ihrer frischen Wunde herausgesprudelt war. Vielleicht war es nun nicht an der Zeit den Schnitt auszuwaschen. Es könnte sein, dass die Erinnerungen mit dem Wasser mitfließen würden. Nein, es war nicht an der Zeit dafür. Es war nun an der Zeit nachzudenken. Stupides herstellen von Tränken, hirnloses Lesen jener Bücher, welche sie fand – dies alles hatte sie in ein Stadium der Sinnlosigkeit rutschen lassen. Gewiss ein produktives Stadium, allerdings verlor sie so auf lange Sicht ihren Pfad von den Augen.
Schwerfällig und ungeschickt erhob sich die kleine Gestalt. Als ob sie über eine Klippe mit tödlichem Abgrund stieg, schritt sie über den Bottich und ließ sich auf das Bett mit der Vorderseite vorran fallen. Das Gesicht war tief in das Kissen vergraben. Zum Nachdenken brauchte sie ihre Augen nicht. Sie würden ihr in diesem Zustand sowieso nur einen Streich spielen. Es genügte ohnehin schon, dass ihre restlichen Sinne benebelt waren.
Die Wunde.. wie kam es dazu? Durch den Schleier des Betäubungsmittels wirkte das Ereignis unendlich fern. Im Wald war es passiert. Beim Sammeln von Nachtschatten. Bei Nacht, denn bei Nacht ist es am besten Nachtschatten zu sammeln. Doch was war dieses.. Den Schauer, der ihr über den Rücken strich spürte sie selbst durch die dicke Schicht an Taubheit hindurch, welche sie befiel. Dieses Ding. Es war etwas wie ein Geist. Ein Geist von einer Frau? Es war doch so dunkel. Ihre Lampe war ausgegangen. Sie fühlte ein Reißen an ihrer Robe, dann den kalten, stechenden Schmerz. Ein letztes Reißen noch, dann war die Gestalt verschwunden; mit ihr ein Fetzen aus ihrer Robe. Merdille war nach Hause in die Pension getaumelt. Zuerst war der Schmerz nur sacht, doch er war immer schlimmer geworden bis sie sich in der Situation von gerade eben befand, wo es nicht nur reichte den Blutfluss zu mindern, sondern auch die Schmerzen. Einige Fragen blieben jedoch noch ungeklärt. War dies die Gestalt, welche in den Wäldern ihr Unwesen trieb von der einige berichteten? Sie verhielt sich jedenfalls ähnlich, wie in den Berichten. Nun ja.. falls es diese war machte es wohl kaum Sinn anderen Menschen von dem... Zwischenfall.. zu berichten. Zumal die Gestalt nicht übermäßig stark schien... nur Angst einflößend. Doch Merdille hatte gelernt damit zurechtzukommen.
Mühsam drehte sie sich auf den Rücken, als der Gedanke in ihrem Kopf widerhallte. Sie öffnete die Augen. In der gleichgültigen Miene erschienen die Tränen, welche an ihren Wangen seitlich herabflossen, bizarr.
„Wo seid ihr, Meister?“
Ihre Lippen Formten diese Worte lediglich ungeschickt. Es war eine Frage, welche sie nicht aussprechen durfte. Vielleicht auch deswegen nicht, weil sie wusste, dass dieses... Tier.., ihr eigentlicher Meister, – oder vielmehr ihr Besitzer -  mit ihm zurückkehren würde. So wie es jetzt war war ihr Leben schön. Schön bedeutungslos, aber schön. Sie war wunderbar zurechtgekommen. Autodidaktisch. Schweiß, Fleiß, Blut, Schmerz. Wie lächerlich diese Sachen waren. Lächerlich im Vergleich zu dem Preis, welchen sie zahlte, wenn sie ihren Besitzer um Hilfe bat.
„Lächerlich ist deine Denkweise, du nutzloses Stück! Denke nicht, dass du ohne ihn jemals so weit gekommen wärst!“
Ruhig starrte Merdille die Decke an. Ihre bebenden Atemzüge hörten sich an, als ob sie viele Schritte entfernt wären.
Der Inhalt dieser Worte füllte ihre Stimme mit einem fremden Klang. Wieder strich etwas, was sich wie eine Hand aus Eis anfühlte über sie. Ja. Es stimmte. Ohne den Pakt wäre sie nie hier angekommen. Wäre nie so, wie sie jetzt ist. Sie sollte dankbar sein und sich auf den Zeitpunkt gefasst machen, wenn es an ihr war die Schulden zurückzuzahlen.
Merdille schüttelte sich wild. Schüttelte sich, um diesen schrecklichen Gedanken aus dem Kopf zu schleudern. Als sie wieder zur Ruhe kam raste ihr Atem. Ja.. es gab noch genug, über das sie nachdenken wollte. Über etwas, was vielleicht nicht so bedrückend war.
Der Statthalter. Das Angebot. Über dies hatte sie noch nicht nachgedacht. Aber hatte der Statthalter selbst genug darüber nachgedacht? Machte dieser blaue Fetzen Stoff, welcher mit dem eingetrockneten Blut darauf auf dem Boden lag, eine fähige Person für ein solches Amt aus? Vielleicht hatte er ein gutes Gefühl, vielleicht auch ein gutes Gespür für die Fähigkeit von Amtspersonen. Seine Paladine hatten schließlich den sich umhertreibenden Nekromanten gefasst.
Wieder zuckte Merdille etwas zusammen. Paladine... Dieses Wort, welches sie manchmal mit solch einem unerklärlichen Hass aussprach. Nein. Mit solchen wollte sie nicht zusammen arbeiten. Von diesen wollte sie vor Allem nicht herumkommandiert werden. In der Stellung, welche sie jetzt hatte war dies nicht problematisch. Sie hatte genug Abstand zu ihnen. Würde sie das Amt annehmen hätte sie nur noch mit solchen zu tun. Doch würde sie nicht so die Chance haben genug Macht zu erlangen, um diese aus der Stadt zu vertreiben oder war das Risiko eine Sklavin ihrer Befehle zu weden zu groß?
Lange Zeit verharrte sie so, auf dem Rücken liegend, auf dem Bett. Schließlich nickte sie der Decke zu. Ja. Ihre Entscheidung stand fest.
Ihre Augen schlossen sich wieder. Es war an der Zeit für etwas Ruhe. Hoffentlich wurde ihr ein tiefer, traumloser Schlaf geschenkt.