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Des Schicksals wilde Launen - Charstory Ylenavei

Begonnen von Ylenavei, 27. April 2009, 19:29:12

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Ylenavei

#15
Spiegelbilder

Es herrschte Finsternis. Lähmende Ketten zerrten an ihren nackten Gliedern, kalt, hart, unerbittlich. Klirrendes, aufeinander schlagendes Metall. Die scharfen Geräusche durchschnitten die drückende Schwärze: Jemand kam - SIE kam. Und mit ihr das Grauen. Ihr blosser Leib erbebte. Alles in ihr drängte fort von hier, schrie nach Schutz und Geborgenheit. Es gab keinen Schutz. Ketten bissen in zerschundene Gelenke, unendlich schwer. Das Entsetzen überrollte sie, entblösst, hilflos, den endlosen Schmerzen, Hass und Schrecken vollkommen ausgeliefert. Stück für Stück, Schlag für Schlag zertrümmerte SIE, was von ihrer wehrlosen Seele noch übrig war...Ihr Blick fand in der Dunkelheit ein Gesicht - Gewins Gesicht. Hoffnung flammte auf, wo es keine Hoffnung gab - sie war nicht allein? Sie suchte den Blick des Geliebten - und sah in einen Spiegel, sah ihr Entsetzen, Schmerz und Hilflosigkeit auf seinen Zügen. Sie konnte nichts tun, nichts aufhalten, nichts ertragen, nichts, nichts...

Mit einem Schrei fuhr Ylenavei von ihrem Lager auf. Schwer atmend und am ganzen Leibe zitternd kauerte sie in den Laken, während der Schrecken sich nur zögerlich verflüchtigte. Sie war in Yew, in ihrem Heim, der Residenz der Stimme, im Herzen der mächtigen Wälder, sorgsam bewacht von der tapferen Schar der Waldhüter. Doch Träume scherten sich nicht um bewaffnete Wächter. Und seit sie die Nachricht erreicht hatte, dass Alauniira wieder auf Drakovia wandelte, waren die dunklen Träume zurückgekehrt, die Träume von Hilflosigkeit und Schmerz, geschaffen, sie zu brechen, sie Stück für Stück zu zerstören.

Ein Luftzug strich über Ylenaveis schweissklamme Haut, liess sie erschaudern. Rasch schlang die junge Waldelfe die Arme um ihre Knie, senkte die Stirn darauf und gab sich den leisen Tränen hin, die aus ihr hinausdrängten.

Dann drang ein leiser Ruf an ihr Ohr, holte sie in die Gegenwart zurück. "Ist alles in Ordnung, tani'sa?"

Ein Fenster stand offen, um die laue Nachtluft hinein zu lassen, auf dass sie die Wärme des vergangenen Sommertages aus der Schlafkammer vertrieb. Cyrillion, der Torwächter, musste ihren Schrei gehört haben. Sie war die Stimme Yews, erinnerte Ylenavei sich selbst, und durfte sich dem Grauen nicht einfach hingeben, nicht zulassen, dass ihr Schrecken sich auf die Gemeinschaft ausweitete, die zu leiten und zu hegen ihre Aufgabe war. Rasch ordnete sie ihr wallendes Nachtgewand, erhob sich und nahm die Treppe ins Erdgeschoss in Angriff, um ihre Hüter zu beruhigen.

Cyrillion und ihr Trog-Hausdiener kamen ihr bereits in der Stube entgegen. "Es ist alles sa", beschied Ylenavei den beiden, "ich habe nur geträumt." Sie hoffte, das wenige Mondlicht, welches durch die Fenster in den Raum fiel, würde ihre Tränen nicht enthüllen. "Ich werde einen Spaziergang machen", setzte die junge Stimme Yews hinzu und wandte sich der Haustür zu, ehe die beiden sie aufhalten konnten. Sie sah nicht, wie Caradron, der Trog, mit offener Besorgnis zu dem Waldhüter hinabsah und wie dieser wissend nickte.

Die Sommernacht war so mild, dass Ylenavei, bloss mit ihrem Nachtgewand bekleidet nicht fror. Vielmehr war sie dankbar für den leichten Seewind, der mit dem Nachtschweiss auch den drückenden Nebel von ihrer Seele fort wehte. Wie von selbst trugen ihre Schritte die junge Stimme und Druidin durch die Gärten der Sala und zum Hügel Allhanas. Als sie die Stufen zur Kultstätte der heiligen Quelle auf dem Gipfel erklomm, schwand mit jedem Schritt ein wenig des erstickenden Schreckens von ihrem Herzen.

Auf der Gipfelplattform angelangt trat Ylenavei an das Becken Allhanas und blickte auf die reglos Glatte Oberfläche des Wassers darin hinab. Sie sah eine zierliche Waldelfe mit üppigem, zerzaustem Haar, das im fahlen Dämmer der Nacht eher silbern als golden schimmerte. Aus bernsteinfarbenen, leicht geröteten Augen blickte das grüne Gesicht forschend zu ihr auf, vorsichtig abwägend, was es von seinem Gegenüber wohl erwarten konnte.

Ein Windhauch strich durch die umstehenden Bäume, sang in ihrem vollen Laub. Ylenavei hörte die Brandung tief unter ihr am Fuss des Hügels rauschen, gewahrte die leisen Geräusche nächtlicher Tiere und den Klang des Luftzugs, der um ihren Leib strich, und wie sie sich alle zum sanften und doch so gewaltigen Lied des Windes vereinten. "Du bist keines Geschöpfes Besitz", sagte sie leise zu dem Gesicht im Becken, "du bist das Lied des Windes, 'yle-na-vei', das niemals verstummt." Und das Gesicht schien im gleichen Atemzug zu antworten: "Kein Geschöpf ist eines anderen Besitz."

Eine Wolke löste sich vom vollen Mond, und ein silberner Schein ergoss sich über die Wasserfläche und das wirre Haar des Spiegelbildes. Langsam hob Ylenavei die Hand, und ihr Gegenüber tat es ihr gleich. Auf der Wasseroberfläche blitzte ein Ring aus verschlungenen goldenen Ranken am gespiegelten Finger auf, so wie es zweifellos auch das Original an ihrer Hand tat. Der Ring der alten hanadra'an schmückte die Hand der Druidin, wies sie als Dienerin der heiligen Quelle aus, seit all den Jahren und heute mehr denn je. Die Spuren des Grauens, der Gier und Anmassung der dunklen Mächte waren hingegen verblasst, getilgt von Liebe, Mut und Hingabe all jener wunderbaren Geschöpfe, die Allhana ihr an die Seite gegeben hatte.

Ylenaveis Blick verharrte auf dem makellos glatten Handgelenk ihres Spiegelbildes, und ihre Gedanken wanderten zu Gewin, dem Sanften und gleichsam Tapferen, der es auf sich genommen hatte, sie von dem schändlichen Sklaven-Brandmal, der letzten sichtbaren Erinnerung an den längsten ihrer Wege, zu befreien. Es hatte ein letztes Mal weh getan, ihr ebenso wie Gewin selbst. Doch nun erschien die unversehrte Haut gleich einem Symbol für das fünfte Gebot Allhanas, das Pein und Anmassung überdauert hatte: Kein Geschöpf ist eines anderen Besitz.

Eine neue Wärme keimte in der goldhaarige Waldelfe am Becken der Quelle auf: Sie war hanadran, Druidin, und die heilige Quelle war mit ihr, in ihr, um sie, und gewährte ihr, die Macht der Ströme des Lebens zu lenken. Und sie war die Stimme der sala von Yew, beflügelt vom Vertrauen der Geschwister, Waldbewohner und Freunde darin, dass sie der Gemeinschaft Frieden und Sicherheit brachte. Sie war weder schwach noch wehrlos. Und es war an der Zeit, dass sie den Geschwistern und all jenen, die ihr lieb und teuer waren, die Sicherheit gab, welche sie alle verdient hatten. Es war an der Zeit, dass Alauniira nicht länger Hand an ihre Seele und die ihrer Lieben legte. Es war an der Zeit, nicht länger nur zu warten. Es war an der Zeit, dass diese Ausgeburt des Dunklen endgültig von der Welt getilgt wurde!

Entschlossen hob Ylenavei den Blick. Am östlichen Horizont zeichnete sich ein rötlich-heller Streifen ab. Bald ging die Sonne auf. Und die Stimme Yews würde mit Allsai Galasha Vei'ri beraten, wie sie dem Schrecken schnellstmöglich ein sicheres Ende bereiteten.